Scheibenhard(t) – hiwwe und driwwe

Eine Stunde Pfalz: Ein Besuch der Pfälzer Gemeinde Scheibenhardt ist eine Grenzerfahrung. Hier lebt man „vis-à-vis“ mit den Nachbarn, wie sowohl Franzosen als auch Pfälzer zu sagen pflegen. Das birgt auch Probleme.

Von Lara Kauffmann
Scheibenhard(t) – hiwwe und driwwe 1Scheibenhardt. Nur wenige Meter von dem 630-Seelen-Dorf Scheibenhardt (Kreis Germersheim) entfernt befindet sich die Grenze zu Frankreich – und damit das elsässische Pendant zum pfälzischen Scheibenhardt. Die Fassaden klassischer Nachkriegsbauten in verblassten Farben säumen den Weg vom Ortseingang zur Lauterbrücke, die die beiden Länder miteinander verbindet. Von der Brücke lässt sich bereits ein Blick auf die typischen Fachwerkhäuser auf der französischen Seite in Scheibenhard werfen. Menschen hingegen sind an diesem verregneten Donnerstagvormittag auf beiden Seiten nicht zu sehen.

Laut ist es dort trotzdem. Dafür sorgt der Grenzverkehr, der durch das beschauliche Dorf rollt. Autos mit deutschen und französischen Kennzeichen nutzen die Brücke auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder einfach, weil die Strecke über das Nachbarland die kürzere zum Ziel im eigenen Land ist.

Hauptproblem: Es gibt mehr und mehr VerkehrDas bleibt nicht unbemerkt: „Eines der Hauptprobleme hier ist der stark zunehmende Verkehr“, berichtet Edwin Diesel, während er vom französischen Ufer der Lauter zu seiner Gemeinde schaut. Seit 24 Jahren ist der pensionierte Berufssoldat Bürgermeister des pfälzischen Scheibenhardts. Dass es Zeiten gab, in denen die Grenze erst nach einer Kontrolle durch die Zollbeamten passiert werden durfte, ist ihm noch gut in Erinnerung. Erst das Schengener Abkommen und die Öffnung der innereuropäischen Grenze 1993 verwandelte die Zollhäuser auf beiden Seiten in leerstehende Immobilien.

Scheibenhard(t) blickt auf mehr als 800 Jahre Geschichte zurück. Mit dem Wiener Kongress im Jahr 1815 wurde das Dorf erstmals getrennt und der Fluss zur Staatsgrenze erklärt. Während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71 gehörte der französische Teil bis zum Ersten Weltkrieg zum Deutschen Reich, dann bis zum Zweiten Weltkrieg wieder zu Frankreich. Während des Krieges war es von Deutschland besetzt und seit 1945 ist Scheibenhard wieder französisch. Das hat Spuren hinterlassen. Spuren in den Dörfern, die mehrfach evakuiert und größtenteils zerstört wurden – und in Familienbiografien. Dass Franzosen aus dem Elsass als deutsche Soldaten an der Front starben, kam nicht selten vor.

Scheibenhard(t) – hiwwe und driwwe 2An die jüngste Geschichte erinnert im deutschen Scheibenhardt eine offene Schranke. „In Deutschland wurde die Schranke als Symbol behalten und bei uns symbolisch abgebaut“, erklärt Gérard Helffrich, Bürgermeister im elsässischen Scheibenhard. Seit drei Jahren übt der Schlossermeister und gebürtige Scheibenharder das Amt aus. In der Gegenwart verstehe man sich als ein Dorf: „Für uns ist es Scheibenhard(t), hiwwe und driwwe“, sagt Helffrich.

Dass auf beiden Seiten der Brücke andere Gesetze und Regeln gelten, stelle sie öfter vor bürokratische Herausforderungen. „Das ist gelebtes Europa hier, aber es gibt auch Probleme, die wir nicht lösen können und das nimmt Zeit in Anspruch“, erzählt Diesel. Sobald die Zustimmung aus Mainz oder Straßburg, Berlin oder Paris benötigt wird, werde es kompliziert. Daher konzentriere sich die Zusammenarbeit der Amtskollegen vor allem auf den kulturellen Sektor.

Absoluter Höhepunkt im gemeinsamen Kalender ist das jährliche Brückenfest, das seit der Grenzöffnung vor über 25 Jahren groß gefeiert wird. „Das Brückenfest ist eine Einheit des Dorfes und die Einheit von zwei Ländern. Europäisch gesehen hat das einen großen Sinn“, betont Helffrich. Egal ob beim Brückenfest, dem gemeinsamen Neujahrsempfang oder beim Sankt-Martins-Umzug: Wenn zusammen gefeiert wird, wird Deutsch gesprochen.

Deutsche sprechen

kaum Französisch„Wir auf unserer Seite sprechen praktisch alle Deutsch. Auf der deutschen Seite wird ganz wenig Französisch gesprochen. Das ist für uns kein Hindernis, sondern ganz normal“, berichtet der zweisprachige Ortsvorsteher aus dem Elsass. Dass er damit vermutlich der letzten Generation angehört, die beide Sprachen beherrscht, ist ihm bewusst. „Irgendwann wird das noch zum Problem werden“, weiß auch Edwin Diesel, der selbst kein Französisch spricht. Bereits jetzt beobachte man, dass die Jugendlichen jeweils auf ihrer Seite bleiben.

Versuche, die Länder einander näher zu bringen, habe es in der Vergangenheit durchaus gegeben: Ein Gemeindekindergarten, eine gemeinsame Dorfchronik und eine deutsch-französische Jugendherberge standen im Raum. Umgesetzt davon wurde nichts. Aktuell teile man sich eine Kläranlage, ein Telefonbuch und den Totengräber. „Wir sind ein Dorf, aber immerhin zwei Länder, das muss man immer im Kopf behalten. Wir arbeiten zusammen, so gut es geht, aber sind mittlerweile doch getrennt durch die Sprache, die Grenze und die unterschiedlichen Regeln“, räumt Helffrich ein.

Das bekamen beide Seiten in jüngster Vergangenheit mit voller Wucht zu spüren. „Die Grenzsperrung durch die Bundespolizei während Corona kam plötzlich. Keiner wusste, was passiert. Das war für uns eine Katastrophe“, erinnert sich Diesel.

An der deutsch-französischen Freundschaft habe das nichts geändert. Die wird besonders auf kulinarischer Ebene lebendig: Im Elsass isst man den Pfälzer Saumagen und in der Pfalz den Elsässer Flammkuchen. Dass Wein auch im Dubbeglas als Schorle schmeckt, sei auf französischer Seite kein Geheimnis mehr. Umgekehrt habe es der Amer – eine französische Aperitifspezialität – in die Gläser der Deutschen geschafft. Dass sie für kulinarische Ausflüge nicht erst zur Wechselstube müssen, schätzen beide Seiten sehr. „In unserer Jugend hatten wir einen französischen und einen deutschen Geldbeutel“, erinnert sich Helffrich. Die Einführung einer gemeinsamen Währung sei für die Zusammenarbeit ein Segen gewesen.

Zum Video

Scheibenhard(t) – hiwwe und driwwe 3Scannen Sie den QR-Code mit Ihrem Smartphone, um zum Video mit dem deutschen und dem französischen Bürgermeister von Scheibenhard(t) zu gelangen. Sie erzählen wie es sich in einem Dorf lebt, das in zwei Ländern liegt – und wann das in der Vergangenheit schon herausfordernd war.

 

 

Quelle: RHEINPFALZ, Ausgabe " Germersheimer Rundschau" vom 12.08.2023