Statt Mehl wird Strom produziert

Am rauschenden Bach: Klappern gehört zum Handwerk, für eine Mühle wie die Bienwaldmühle sowieso. Da steckt einerseits viel Tradition drin, doch die Moderne hat längst Einzug gehalten, erzählt der Mühlenarzt.

Von Monika Bögelpacher

siegmundmuehle

hannahsiegmund

SCHEIBENHARDT. Munter plätschert die Lauter, Grenzfluss zu Frankreich und Lebensader für die Bienwaldmühle in Scheibenhardt, und sie könnte viel erzählen über Jahrhunderte deutsch-französischer Geschichte und Mühlenwesen in dieser kleinen Siedlung mitten im Bienwald. Das übernimmt gerne Siegmund Rieger, Müller und Hausherr dieses herrschaftlichen barocken Gebäudes mit seinem reichen Innenleben. Er produziert zwar seit 2017 kein Mehl mehr, dafür aber dank der Lauter und neuester Technik Strom für etwa 400 Einwohner. Bereits 1959 gehörte die Bienwaldmühle zu den ersten Stromerzeugern, die ins Netz der Pfalzwerke einspeisten.

Die Mühleneinrichtung ist selbstverständlich noch vorhanden, „aktuelle Technik, perfekt gepflegt und voll funktionsfähig. Das ist mir eine Herzensangelegenheit, vielleicht wird ein Enkel mal wieder Müller?“, sagt der 67-Jährige, der in St. Gallen Müllereitechnik studiert hat, lächelnd. „Mühlenarzt“ ist ein Begriff hierfür, weil wir Schäden oft auch selbst reparieren“, erklärt er den komplizierten Aufbau: Reinigungsbereich, Walzenstühle (Mahlwerke), Plansichter, Fördertechnik, unzählige Rohre und Silos. So wird auch für Laien verständlich, wie nach insgesamt 16 Passagen aus dem Getreidekorn Mehl in unterschiedlicher Feinheit entsteht, das dann nach Kundenbestellung gemischt und abgefüllt wird. Die Anlage erzeugt in 24 Stunden 15 Tonnen Mehl. Die Bauern brachten bestes Getreide aus den fruchtbaren Gebieten des Elsass’ und der Pfalz. Die Kunden kamen gegen Ende überwiegend aus Frankreich und schätzten vor allem die Qualität des Roggenmehles. Rieger lobt Getreide als eines der wertvollsten Lebensmittel, kennt die „Geheimnisse“ der nationalen Backstuben und weiß, warum das besondere Aroma des französischen Baguettes mit deutschem Weißbrot nicht zu erreichen ist. Dass in Deutschland kleine Bäcker und Müller vielfach aufgeben, während große Industriemühlen und –bäckereien entstehen, sei bedauerlich. Von 60.000 Mühlen anno 1900 waren im vergangenen Jahr noch 380 übrig, weiß Rieger als Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung“. „Deshalb – kein Urlaub ohne Mühle. Man kommt zum fachlichen Austausch, bleibt zum Kaffee und geht oft in Freundschaft“, schwärmt der Müller, der als überzeugter Europäer ebenso beste Freundschaften zu seinen französischen Kollegen pflegt. Das Schengen-Abkommen habe Besuche und Warenaustausch sehr erleichtert. Und „gute Nachbarschaft ist eine unserer wichtigsten Aufgaben an der Grenze“. Familie Rieger ist Eigentümer der Bienwaldmühle seit Opa Jakob, von der Kandeler Barthelsmühle stammend, diese 1927 von Familie Ehrstein kaufte, nachdem diese keine Nachkommen hatte. Waffen statt WalzenDamals war das Elsass nach dem Ersten Weltkrieg wieder französisch geworden. „Doch die Grenzbewohner verstanden sich, ebenso gut wie die Zöllner von hüben und drüben“, erzählte Riegers Oma, in deren Küche diese sich gerne zum Tee und Aufwärmen trafen. Dies änderte sich mit starken Spannungen ab der Machtübernahme 1933 schlagartig. Bereits 1939 ist das Gebäude durch Beschuss teilweise abgebrannt. Der Wiederaufbau 1940 kam schnell ins Stocken, so dass Familie Rieger nach dem 2. Weltkrieg in einem großen Kraftakt neu beginnen musste, zumal auch im Krieg die bestellten sieben Walzenstühle für Waffen eingeschmolzen worden waren und es zunächst keinen Strom gab. Aber nicht nur der letzte Weltkrieg, sondern viele deutsch-französische Konflikte hinterließen Spuren auf dem weiten Areal der Mühle, die viele Tiefschläge und Aufschwünge erlebt hat. Sie war rund 150 Jahre französisch, und ist wichtiger Zeitzeuge der wechselvollen Geschichte. Ihr Gründungsjahr ist nicht bekannt. Gefunden wurde zwar ein Mühlstein mit der Gravur 1483, doch die Weißenburger Mönche kamen wesentlich früher. Sie hatten hier Fischteiche, Getreide, viel Holz und Wasserkraft, die für den Antrieb einer Mehl-, Säg- und Ölmühle für eine Schreinerei und Hanfreibe genutzt wurde. In Siegmund Riegers historischen Unterlagen finden sich auch die Namen Boehnwald- und Kaltenhauser Mühle. Letzterer ist ein Hinweis auf ein im 30-jährigen Krieg untergegangenes Dorf in der Nähe. Glanzstück ist eine wertvolle Urkunde von 1786, die nach der Säkularisierung den Eigentumsübergang vom Hochstift Speyer zur Müllerfamilie Flicken begründet. „Dieses Kleinod Bienwaldmühle an der Lauter möchte ich unbedingt bewahren“, versichert der engagierte Mühlenbesitzer, der in Zukunft gerne auch Führungen anbietet.

Quelle: RHEINPFALZ, Ausgabe " Germersheimer Rundschau" vom 06.01.2022