Hochrisikogebiet: Leben an der Grenze

Sie wohnen im Elsass, arbeiten in der Pfalz. Der nächste Bäcker ist auf deutscher Seite, die Post auch. Das Leben an der Grenze findet in beiden Staaten statt. So stellt die seit Montag geltende Testpflicht viele Familien vor große Rätsel. Die Angst vor Grenzschließungen wie vor einem Jahr geht ebenfalls um. Noch ist die Grenze offen – Kontrollen gibt es trotzdem.

Von Rebecca Singer

Scheibenhardt. Die Bäckerei „La Minzbrueck“ im südpfälzischen Scheibenhardt steht direkt an der Lauterbrücke, dem Grenzübergang nach Frankreich. Die Verkäuferinnen wohnen auf der elsässischen Seite und sind frustriert. Wegen der Einstufung Frankreichs als Hochrisikogebiet müssen sie sich als Pendlerinnen zwei Mal pro Woche testen lassen. Das Problem: „In Frankreich gibt es so gut wie keine Schnelltest-Zentren.LADG BM Diesel Machen wir in Deutschland einen Test, kostet es 30 Euro. Und Termine bekommt man auch nicht einfach“, sagt Gérard Helffrich, Bürgermeister des französischen Teils Scheibenhards, den man im Gegensatz zur deutschen Seite ohne „t“ schreibt. Bäckerei-Mitarbeiterin Cornelia Coupaud stimmt zu, genügend Termine, damit sich alle Pendler testen können, gebe es nicht. „Wir leben hier auf dem Land, beim letzten Test bin ich 20 Kilometer hin- und zurückgefahren.“ Das koste viel Zeit und Kraft. Dabei versuche sie, was sie könne: „Als letztes Jahr die Grenzen zu waren, sind wir über die Brücke gelaufen und haben den Leuten Bestellungen an die Absperrung gebracht“, erzählt sie. Corona-Test für ein Baguette?Die Situation sei bedrohlich: Weil weniger Kunden kämen, könnten sie schon jetzt nicht mehr Vollzeit arbeiten. „Unsere Arbeitsplätze sind in Gefahr“, sagt Coupaud. Dass weniger Kunden kommen, bestätigt La-Minzbrueck-Geschäftsführer Jean-Luc Morgen.

 

Er spricht von Einbußen von über 30 Prozent. „Es lässt sich ja keiner für ein Baguette testen.“ Von seinen etwa 40 Mitarbeitern müssten rund 30 täglich über die Grenze. Ihnen LADG LauterbrückeLADG Stichprobehabe er geraten, sich im Notfall krank zu melden. Und wenn dann zu wenige zur Arbeit kommen? „Wenn die Leute nicht mehr kommen, kann ich nicht schaffen“, sagt Morgen. Um Bürgern zu helfen, wurde in Scheibenhardt nun ein eigenes Schnelltest-Zentrum aus dem Boden gestampft. Da es von Ehrenamtlichen betrieben wird, können laut Bürgermeister Helffrich nur samstags Tests durchgeführt werden, für drei Stunden. Sein Kollege von der deutschen Seite, Bürgermeister Edwin Diesel ergänzt: Am ersten Tag seien 130 Leute getestet worden – alle negativ. Dass Pendler getestet werden müssen, betrifft viele Firmen in der Südpfalz. Das ist vor allem für kleine Unternehmen ein Problem, die sich nicht selbst darum kümmern können – im Gegensatz zu den Großen. Mercedes-Benz in Wörth etwa bietet Schnelltests vor Ort für die Beschäftigten aus der Grenzregion an, durchgeführt von medizinischem Fachpersonal, wie eine Sprecherin mitteilt. Wie viele Menschen aus Frankreich dort beschäftigt sind, möchte das Unternehmen nicht veröffentlichen. Wer so nah an der Grenze lebt, dessen Alltag findet in beiden Staaten statt. Sina Menzel etwa wohnt auf der elsässischen Seite Scheibenhardts und ist Lehrerin an einer Grundschule in Deutschland. „Hier im Viertel haben die Regeln zu Verwunderung geführt“, sagt sie, „das wird auch als Schikane aufgenommen“. Die 43-Jährige hat Glück, denn im Moment sind Ferien. Danach sollen Kinder und Lehrer laut Menzel zwei Mal pro Woche getestet werden. Dennoch schränke sie die Testpflicht ein. „Das fängt bei kleinen Sachen an: Wir waren spazieren und wollten uns schnell ein Croissant holen“, erzählt sie. Doch der Bäcker ist auf der deutschen Seite, ohne Test kamen sie nicht hin. „Klar, das ist kein Weltuntergang, dann hatten wir eben kein Croissant zum Kaffee.“ Stärker beschäftigt sie der Zusammenhalt im Ort: Vor der Pandemie seien beide Seiten stark zusammengewachsen. Es gebe ein jährliches Brückenfest, gemeinsame Vereine, deutsch-französische Basteltreffen. Doch das meiste findet derzeit nicht statt. Und weil Menschen aus Frankreich teils stark angefeindet wurden, als die Grenzen 2020 geschlossen waren, sei viel kaputtgegangen. Sie erzählt von einer Nachbarin, die seit einem Jahr nicht mehr in Deutschland einkaufen gehe, weil sie die Kommentare damals so verletzt hätten. „Sie fährt lieber 15 Kilometer zum nächsten Supermarkt in Frankreich, als rüber nach Berg.“ Der ganze Ort hoffe, dass es nicht wieder so weit komme wie 2020, sagt Bürgermeister Diesel. Kontrolle am BienwaldDass es dieses Mal keine festen Grenzkontrollen geben wird, beteuern Politiker regelmäßig. Stattdessen wird stichprobenartig im Grenzgebiet kontrolliert. Damit ist ein 30 Kilometer breiter Korridor entlang der Grenze gemeint, für den die Bundespolizei für den Grenzschutz zuständig ist, wie Patrick Lankeit von der Bundespolizei erklärt. Die Kontrollen, die es dort ohnehin gibt, seien seit Beginn der Pandemie intensiviert worden. Wie stark, soll aus taktischen Gründen nicht verraten werden. Eine dieser Kontrollen fand am Donnerstag am Grenzübergang Bienwald statt. Das eigentliche Ziel sei dabei, die Grenzkriminalität zu bekämpfen. Heißt: unerlaubte Einfuhr von Waffen und Drogen oder illegale Migration. Inzwischen gehöre die Pandemiebekämpfung dazu, sagt Lankeit. So würde eben auch überprüft, ob alle nötigen Dokumente vorhanden seien: das negative Corona-Test-Ergebnis und die Einreiseanmeldung (für Pendler einmal pro Woche). Wer ohne erwischt wird, darf nicht etwa an der Grenze abgewiesen oder zurückgeschickt werden. „Dann wird der Fall an das zuständige Gesundheitsamt weitergeleitet“, sagt Lankeit. Dort werde dann weiter entschieden und zum Beispiel ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Wie hoch das ausfällt, entscheide dann ebenfalls das Gesundheitsamt. Im Laufe der zweistündigen Kontrolle am Donnerstag gab es keine Verstöße gegen die Pflicht, einen negativen Test nachzuweisen. Stattdessen andere Vergehen: ein Mal Fahren ohne Fahrerlaubnis, eine Person hatte einen Schlagstock und eine andere drei Gramm Marihuana dabei.

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Quelle: RHEINPFALZ, Ausgabe " Germersheimer Rundschau" vom 30.03.2021