Hochrisikogebiet: Leben an der Grenze
Sie wohnen im Elsass, arbeiten in der Pfalz. Der nächste Bäcker ist auf deutscher Seite, die Post auch. Das Leben an der Grenze findet in beiden Staaten statt. So stellt die seit Montag geltende Testpflicht viele Familien vor große Rätsel. Die Angst vor Grenzschließungen wie vor einem Jahr geht ebenfalls um. Noch ist die Grenze offen – Kontrollen gibt es trotzdem.
Scheibenhardt. Die Bäckerei „La Minzbrueck“ im südpfälzischen Scheibenhardt steht direkt an der Lauterbrücke, dem Grenzübergang nach Frankreich. Die Verkäuferinnen wohnen auf der elsässischen Seite und sind frustriert. Wegen der Einstufung Frankreichs als Hochrisikogebiet müssen sie sich als Pendlerinnen zwei Mal pro Woche testen lassen. Das Problem: „In Frankreich gibt es so gut wie keine Schnelltest-Zentren. Machen wir in Deutschland einen Test, kostet es 30 Euro. Und Termine bekommt man auch nicht einfach“, sagt Gérard Helffrich, Bürgermeister des französischen Teils Scheibenhards, den man im Gegensatz zur deutschen Seite ohne „t“ schreibt. Bäckerei-Mitarbeiterin Cornelia Coupaud stimmt zu, genügend Termine, damit sich alle Pendler testen können, gebe es nicht. „Wir leben hier auf dem Land, beim letzten Test bin ich 20 Kilometer hin- und zurückgefahren.“ Das koste viel Zeit und Kraft. Dabei versuche sie, was sie könne: „Als letztes Jahr die Grenzen zu waren, sind wir über die Brücke gelaufen und haben den Leuten Bestellungen an die Absperrung gebracht“, erzählt sie.
Er spricht von Einbußen von über 30 Prozent. „Es lässt sich ja keiner für ein Baguette testen.“ Von seinen etwa 40 Mitarbeitern müssten rund 30 täglich über die Grenze. Ihnen habe er geraten, sich im Notfall krank zu melden. Und wenn dann zu wenige zur Arbeit kommen? „Wenn die Leute nicht mehr kommen, kann ich nicht schaffen“, sagt Morgen. Um Bürgern zu helfen, wurde in Scheibenhardt nun ein eigenes Schnelltest-Zentrum aus dem Boden gestampft. Da es von Ehrenamtlichen betrieben wird, können laut Bürgermeister Helffrich nur samstags Tests durchgeführt werden, für drei Stunden. Sein Kollege von der deutschen Seite, Bürgermeister Edwin Diesel ergänzt: Am ersten Tag seien 130 Leute getestet worden – alle negativ. Dass Pendler getestet werden müssen, betrifft viele Firmen in der Südpfalz. Das ist vor allem für kleine Unternehmen ein Problem, die sich nicht selbst darum kümmern können – im Gegensatz zu den Großen. Mercedes-Benz in Wörth etwa bietet Schnelltests vor Ort für die Beschäftigten aus der Grenzregion an, durchgeführt von medizinischem Fachpersonal, wie eine Sprecherin mitteilt. Wie viele Menschen aus Frankreich dort beschäftigt sind, möchte das Unternehmen nicht veröffentlichen. Wer so nah an der Grenze lebt, dessen Alltag findet in beiden Staaten statt. Sina Menzel etwa wohnt auf der elsässischen Seite Scheibenhardts und ist Lehrerin an einer Grundschule in Deutschland. „Hier im Viertel haben die Regeln zu Verwunderung geführt“, sagt sie, „das wird auch als Schikane aufgenommen“. Die 43-Jährige hat Glück, denn im Moment sind Ferien. Danach sollen Kinder und Lehrer laut Menzel zwei Mal pro Woche getestet werden. Dennoch schränke sie die Testpflicht ein. „Das fängt bei kleinen Sachen an: Wir waren spazieren und wollten uns schnell ein Croissant holen“, erzählt sie. Doch der Bäcker ist auf der deutschen Seite, ohne Test kamen sie nicht hin. „Klar, das ist kein Weltuntergang, dann hatten wir eben kein Croissant zum Kaffee.“ Stärker beschäftigt sie der Zusammenhalt im Ort: Vor der Pandemie seien beide Seiten stark zusammengewachsen. Es gebe ein jährliches Brückenfest, gemeinsame Vereine, deutsch-französische Basteltreffen. Doch das meiste findet derzeit nicht statt. Und weil Menschen aus Frankreich teils stark angefeindet wurden, als die Grenzen 2020 geschlossen waren, sei viel kaputtgegangen. Sie erzählt von einer Nachbarin, die seit einem Jahr nicht mehr in Deutschland einkaufen gehe, weil sie die Kommentare damals so verletzt hätten. „Sie fährt lieber 15 Kilometer zum nächsten Supermarkt in Frankreich, als rüber nach Berg.“ Der ganze Ort hoffe, dass es nicht wieder so weit komme wie 2020, sagt Bürgermeister Diesel.
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Quelle: RHEINPFALZ, Ausgabe " Germersheimer Rundschau" vom 30.03.2021